Modellierung von therapeutischen Übungen für sensorbasierte Anwendungssysteme zur Unterstützung von Trainierenden
Übungen sind körperliche Aktivitäten die zur Verbesserung oder Erhaltung der körperlichen Kondition dienen. Sie werden unter anderem bei muskuloskelettalen Erkrankungen eingesetzt, die laut Weltgesundheitsorganisation über 20 % der Weltbevölkerung betreffen. Der Einsatz von Übungen führt vor allem dann zuverlässig zum Erfolg, wenn die Übungen regelmäßig und somit auch eigenständig durchgeführt werden. Im derzeitigen Behandlungskontext erfolgt das häusliche Training in der Regel ohne Kontrolle der Bewegungsausführung durch Expert*innen. Sensorbasierte Anwendungssysteme können Trainierende unterstützten. Für die Entwicklung ist eine semantisch interoperable Modellierung des therapeutischen Wissens über qualitativ hochwertige Übungsausführungen notwendig. Die Analyse bestehender Systeme zeigt, dass sowohl die adäquate Modellierung von menschlicher Bewegung unzureichend für den Einsatz im Alltag ist, als auch ein einheitliches Framework zur Quantifizierung der Qualität der gezeigten Übungsausführung fehlt.
Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung und Evaluation von Methoden zur Modellierung von Eigenübungen für sensorbasierte Anwendungssysteme. Diese Anwendungssysteme können Trainierende beim selbstständigen Training zu Hause unterstützen, indem sie in Echtzeit konstruktives Feedback zur Qualität der Übungsausführung geben. Als Datengrundlage dienen sowohl das Wissen von Therapeut*innen über die qualitative Bewertung von Übungsausführungen als auch die von Sensorsystemen erfassten Informationen zur menschlichen Bewegung bei der Übungsausführung.
Methode
Die Modellierung von Übungen basiert in dieser Arbeit immer auf drei Bausteinen: i) der sensorbasierten Bewegungserfassung, ii) der strukturierten Erfassung von Domänenwissen und iii) der Kombination der beiden zur Übungsmodellierung. Darauf aufbauend wurde die Methodenkollektion Emma entwickelt. Das Akronym Emma steht für Exercise modelling by motion tracking and analysis by the therapists. Mit der Methodenkollektion Emma werden insbesondere drei Ansätze zur Kombination für die Modellierung von Übungen vorgestellt. Der erste Ansatz basiert auf dem zeitunabhängigen Vergleich von idealtypischer Referenzbewegung und tatsächlich ausgeführter Bewegung sowie ergänzender Qualitätskriterien. Im zweiten Ansatz zur Übungsmodellierung werden die Übungsausführungen der Proband*innen einer Dimensionsreduktion unterzogen, in Bewegungstrajektorien überführt und in Bezug zu den Korrekturhinweisen der Bewegungsexpert*innen gesetzt. Der dritte Ansatz zielt auf eine datengetriebene Charakterisierung der Übungsbewegung ab und basiert auf einer zweifachen Dimensionsreduktion der periodischen Sensordaten.
Ergebnisse
Als Grundlage für die sensorbasierte Bewegungserfassung zu Hause eignen sich Einzelkamerasysteme oder inertiale Sensoren. Bei der Erfassung des Domänenwissen war der Konsens der Bewegungsexpert*innen über die Qualität von Übungsausführungen und ihren Korrekturbedarf umso höher, desto spezifischer die zu bewertenden Merkmale vorgegeben waren. Frei formulierte Korrekturhinweise von Expert*innen ließen sich in konsensbasierte Korrekturhinweise überführen. Der entwickelte Kombinationsansatz der Methodenkollektion Emma mit dem zeitunabhängigen Vergleich von Referenzbewegung und tatsächlich ausgeführter Bewegung ist vor allem für den individuellen Vergleich geeignet. Die Evaluation im Projekt AGT"=Reha konnte mit über 300.000 Übungsausführungen von Trainierenden einen Zusammenhang zwischen der Qualitätsbewertung des Übungsmodells und den klinischen Bewertungen in Abhängigkeit der Trainingshäufigkeit zeigen. Die Darstellung der Bewegungstrajektorien aus Emmas zweitem Ansatz zur Übungsmodellierung zeigt charakteristische Merkmale für jede Übung und die verschiedenen Proband*innen. Ein eindeutiger Zusammenhang mit den Korrekturhinweisen der Bewegungsexpert*innen konnte nicht festgestellt werden. Die Charakterisierung der periodischen Bewegungsdaten im dritten Ansatz zeigte eine starke Abhängigkeit von der Variation der Ausführungsgeschwindigkeit und der individuellen Verweildauer in bestimmten Posen der Übungen.
Diskussion
Diese Arbeit behandelt alle Bestandteile, die für eine Übungsmodellierung zur Unterstützung Trainierender mit sensorbasierten Anwendungssystemen relevant sind und fasst sie in der Methodenkollektion Emma zusammen. Im Rahmen der Arbeit wurde deutlich, dass eine Übung mit Regeln oder Referenzabgleich modellierbar ist und den grundsätzlichen Bewegungsablauf abbildet. Allerdings spannt eine Übungsdefinition einen Bewegungsrahmen auf, der von der individuellen Therapie und Körperstruktur abhängt. Für spezifische Übungsmodellierungen sind daher die Varianten der zielführenden Bewegungen innerhalb des Korridors von den kontraproduktiven Bewegungsanteilen zu unterscheiden. Die Darstellung der dimensionsreduzierten Bewegungstrajektorien gibt Einblicke in Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Übungsausführungen und visualisiert diese Korridore. Erstmalig wurde der Bezug zwischen der Qualitätseinschätzung der Bewegungsexpert*innen und der Lage, Form und Skalierung der sensorbasierten Bewegungstrajektorien gezeigt. Bei den untersuchten Datensätzen mit qualitativ hochwertigen Ausführungen zeigten sich kaum Zusammenhänge zwischen den Trajektorien von Übungsausführungen und den dazugehörigen Korrekturhinweisen der Expert*innen. Dieser Fakt stützt die Vermutung, dass insbesondere kleine, teilweise sensorisch kaum erfassbare Bewegungsanteile für die Qualität einer Übungsausführung entscheidend sein können, sofern der grundsätzliche Bewegungsablauf korrekt ist. Bei der zukünftigen Entwicklung von Übungsmodellierungen zur differenzierten Rückmeldung bieten Bewegungstrajektorien ein Medium zur Visualisierung und Kommunikation der sensorabhängigen und personenspezifischen Festlegung von Bewegungskorridoren, die anzustreben sind. Darüber hinaus können die in dieser Arbeit entwickelten Methoden Anstoß für eine spezifischere, besser modellierbare Übungsdefinition sein. Die Identifikation von relevanten Bewegungsanteilen mit den vorgestellten Methoden befördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Expert*innen aus Medizin und Informatik. Daraus können bessere Anwendungssysteme hervorgehen, welche Trainierende zielführender unterstützen.
Exercises are physical activities that serve to improve or maintain physical condition. They are used for musculoskeletal disorders, among other things, which, according to the World Health Organization, affect over 20 % of the world’s population. The use of exercises leads to reliable success, especially if the exercises are performed regularly and therefore independently at home. In the current treatment context, home-based training is usually carried out without expert supervision of movement execution. Sensor-based application systems can support exercisers during their routine. Semantically interoperable modelling of therapeutic knowledge about high-quality exercise performance is necessary for development. The analysis of existing systems shows that adequate modelling of human movement is insufficient for use in every/-day life. Also, a uniform framework for quantifying the quality of the exercise execution shown is missing.
Objective
This work aims to develop and evaluate methods for modelling exercises for sensor-based application systems. These application systems can support exercisers in independent training at home by providing constructive feedback on the quality of exercise performance in real-time. Both the knowledge of therapists about the qualitative evaluation of exercise performance and the information recorded by sensor systems on human movement during exercise performance serve as the data basis.
Methods
The modelling of exercises in this work is always based on three components: i) sensor-based motion capture, ii) the structured capture of domain knowledge and iii) the combination of the two for exercise modelling. The method collection Emma was developed on this basis. The acronym Emma stands for Exercise modelling by motion tracking and analysis by the therapists. In particular, the Emma method collection represents three approaches for modelling exercises. The first approach is based on the time-independent comparison of ideal-typical reference movement and actually performed movement, as well as supplementary quality criteria. In the second approach to exercise modelling, the exercise executions of the test subjects are subjected to a dimensional reduction, converted into movement trajectories and related to the correction instructions of the movement experts. The third approach is aimed at a data-driven characterization of the exercise movement and is based on a twofold dimensional reduction of the periodic sensor data.
Results
Single camera systems or inertial sensors are suitable as the basis for sensor-based movement recording at home. When recording domain knowledge, the more specific the characteristics to be assessed were, the greater the consensus among the movement experts on the quality of exercise execution and the need for correction. Freely formulated correction instructions from experts could be converted into consensus-based correction instructions. The developed combination approach of the Emma method collection with the time-independent comparison of reference movement and actually executed movement is particularly suitable for individual comparison. The evaluation in the AGT"=Reha project was able to show a correlation between the quality assessment of the exercise model and the clinical assessments as a function of training frequency with over 300,000 exercises performed by exercisers. The representation of the movement trajectories from Emma’s second approach to exercise modelling shows characteristic features for each exercise and the different test subjects. A clear correlation with the correction instructions of the movement experts could not be established. The characterization of the periodic movement data in the third approach showed a strong dependence on the variation of the execution speed and the individual dwell time in certain poses of the exercises.
Discussion
This work deals with all components relevant for exercise modelling to support exercisers with sensor-based application systems and summarizes them in the method collection Emma. During the work, it became clear that an exercise can be modelled with rules or reference comparison and depicts the primary movement sequence. However, an exercise definition defines a range of movement that depends on the individual therapy and body structure. For specific exercise modelling, the variants of goal-oriented movement within the corridor must, therefore, be distinguished from the counterproductive movement components. The representation of the dimension-reduced movement trajectories provides insights into the similarities and differences between exercise designs and visualizes these corridors. For the first time, the relationship between the quality assessment of the movement experts and the position, form and scaling of the sensor-based movement trajectories was shown. In the analyzed data sets with high-quality executions, there were hardly any correlations between the trajectories of exercise executions and the corresponding correction notes of the experts. This fact supports the assumption that small parts of the movement, some barely detectable by sensors, can be decisive for the quality of exercise execution, provided that the primary movement sequence is correct. In the future development of exercise modelling for differentiated feedback, movement trajectories offer a medium for visualizing and communicating the sensor-dependent and person-specific definition of movement corridors that should be aimed for. In addition, the methods developed in this work can provide an impetus for a more specific, better modellable exercise definition. The identification of relevant movement components using the methods presented promotes interdisciplinary collaboration between experts from the fields of medicine and computer science. This can result in better application systems that support exercisers in a more targeted manner.
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