Methodisches Konstruieren für Multi-Material-Bauweisen hergestellt mittels Materialextrusion
Die additive Fertigung bietet gegenüber anderen Fertigungsverfahren neue Freiheiten in der Produktgestaltung. Neben der Herstellung von Prototypen hat sich die direkte Fertigung von Endprodukten etabliert. Eine Besonderheit additiver Fertigungsverfahren stellt die Möglichkeit der Kombination mehrerer Materialien innerhalb eines Bauteils ohne zusätzlichen Fügeprozess dar. Hieraus leitet sich ein hohes Potenzial zur Integration von Funktionen und für die Entwicklung neuer Bauteildesigns ab. Das Verfahren der Materialextrusion eignet sich infolge der vergleichsweise einfachen Handhabung und der verfügbaren Materialvielfalt an Polymeren und Kompositmaterialien für die Herstellung additiv gefertigter Multi-Material-Bauweisen. Aufgrund von fehlendem Wissen über die zusätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten werden diese innerhalb der Bauteilkonzeption bisher kaum berücksichtigt. Eine gezielte Nutzung der neuen konstruktiven Freiheiten erfordert eine spezielle Bereitstellung von Gestaltungs- und Technologiewissen. Zur Ausschöpfung der konstruktiven Freiheiten und einer generellen Berücksichtigung der technischen Umsetzbarkeit innerhalb des Konzeptionsprozesses werden neben der Bereitstellung von Gestaltungswissen auch Informationen in Bezug auf die Schichtverbundgestaltung benötigt. In dieser Arbeit wird ein methodischer Ansatz entwickelt, um die konstruktiven Möglichkeiten additiv gefertigter Multi-Material-Bauweisen, speziell für das Verfahren der Materialextrusion, systematisch mit in die Bauteilkonzeption einzubeziehen. Zur Bereitstellung von detailliertem Gestaltungswissen werden zum einen Konstruktionsprinzipien identifiziert und anhand von experimentellen Untersuchungen Kennwerte zur Integration von dämpfenden und wärmeerzeugenden Strukturen ermittelt. Zum anderen werden auf der Grundlage der Versuchsergebnisse material-, geometrie- und prozessseitige Einflussfaktoren auf die resultierenden Bauteileigenschaften analysiert. Hieraus werden anschließend Stellhebel abgeleitet. Zur Berücksichtigung der Materialkompatibilität innerhalb des Konzeptionsprozesses werden Prüfkörper zur Quantifizierung der Verbundhaftung entwickelt. Zudem wird die Wirksamkeit unterschiedlicher Zusatzmaßnahmen, u.a. formschlüssige Verbindungen, experimentell bestimmt. Die Integration der Wissensbereitstellung in den Produktentwicklungsprozess sowie die Art der Wissensaufbereitung wird anhand von Workshops evaluiert. Um die Anwendbarkeit des Gestaltungswissens zu erleichtern, wird ein Graphendatenbanksystem prototypisch umgesetzt. Die Anwendung der Wissensbereitstellung wird am Beispiel der Neukonzeption einer Handprothese in Multi-Material-Bauweise demonstriert. Das Potenzial des entwickelten Konzepts sowie dessen grundsätzliche technische Umsetzbarkeit wird abschließend durch die Fertigung mittels Materialextrusion aufgezeigt.