Naturkatastrophen – Risiken und Reaktionen
„Vater, es wird mir eng im weiten Land, da geh ich lieber unter die Lawinen“ sagt Walther, der Sohn Wilhelm Tells, als dieser ihm bei einem Gang in die Stadt von der Unterdrückung und Unfreiheit außerhalb der Berge erzählt. Der Satz führt uns direkt in die Problematik des Umgangs mit Naturgefahren: Es geht immer um ein Abwägen von Gütern und Werten im Vergleich zu den Gefahren. Bei Schiller wird das Gut „Freiheit“ gegen die Gefahr „Lawinen“ gewogen und – wie beim Idealisten Schiller nicht anders zu erwarten – neigt sich die Waagschale zu Gunsten der Freiheit. Ein solches Abwägen ist Bestandteil des täglichen Lebens: Wenn man es eilig hat und noch schnell die stark befahrene Straße überquert, nimmt man das höhere Risiko auf sich. Der Bauer in Bangladesh ist sich der Überschwemmungsgefährdung wohl bewusst, baut aber – mangels Alternativen – dennoch dort an, weil er sich zumindest für dieses Jahr eine Ernte erhofft. Die Abwägung von Risiken hängt zusammen mit der persönlichen Kenntnis der Gefahr und der Einschätzung der eigenen Fähigkeiten, mit ihr umzugehen. Mit dem Verkehr sind wir vertraut und glauben, uns und unsere Fähigkeiten zu kennen. Eine der wesentlichen Ursachen für die weit verbreitete Ablehnung der Kernenergie ist das Gefühl, etwas gänzlich Unbekanntem und Unbeeinflussbarem ausgeliefert zu sein. Die geringere Bedeutung, die heute den Naturgefahren beigemessen wird, hat sicher auch eine ihrer Ursachen in der zunehmenden Entfremdung von der Natur. Die Menschen ignorieren die Standortrisiken bewusst, wenn die sonstigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen stimmen, wie am Beispiel der Bevölkerungsdichte im hoch erdbebengefährdeten Bereich von San Francisco, Silicon Valley bis nach Los Angeles deutlich wird.
Preview
Cite
Access Statistic

Rights
Use and reproduction:
All rights reserved